Die Technische Nothilfe in der Weimarer RepublikTN-Logo1924

Die Technische Nothilfe ist ein Kind der Revolution 1918/19. Ihre Wiege stand in Berlin, genauer gesagt inmitten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division (GKSD). Hinter dem umständlichen Namen dieses Truppenverbands verbarg sich ein Zusammenschluß mehrerer Freikorps, die im Dienst der provisorischen Reichsregierung unter Friedrich Ebert (MSPD) standen. Der Einsatz der Freikorps für den neuen Staat sagt allerdings nichts über deren tatsächliche Republiktreue aus, denn die Mehrzahl dieser Freiwilligenverbände waren monarchistisch oder rechtsradikal eingestellt. Er zeigt nur, daß sich Ende 1918 zwei gesellschaftliche Kräfte zu einem Zweckbündnis verbunden hatten, die in Deutschland die Errichtung der sogenannten "Diktatur des Proletariats" nach sowjetischem Vorbild mit allen Mitteln verhindern wollten.

Zwar gelang es den gut besoldeten und bis an die Zähne bewaffneten Freikorps in den meisten Fällen, gewaltsame Aufstände der extremen Linken in kurzer Zeit  niederzukämpfen, doch gegen ein Mittel der politischen Widersacher schien man zunächst machtlos: die zahllosen politisch motivierten, oft spontanen "wilden" Streiks. Es genügte, in einigen wenigen Versorgungsbetriebe für Gas, Wasser und Elektrizität die Arbeit ruhen zu lassen, um ganze Stadtteile lahmzulegen. In solchen Fällen nützte es nichts, Militär vor den betroffenen Werken zusammenzuziehen und den im Ausstand befindlichen Arbeitern Gewalt anzudrohen. An ein entwickeltes Arbeitsrecht, durch das im Streikfall die Aufrechterhaltung eines Notbetriebs zur Verpflichtung gemacht worden wäre, war Anfang 1919 ohnehin noch nicht zu denken. In dieser Situation wurde der Architekt und Reserveleutnant Otto Lummitzsch beim Generalstab der GKSD vorstellig und schlug vor, aus technisch vorgebildeten Heeres- und  Marinesoldaten eine sogenannte Technische Abteilung (TA) aufzustellen, die bei Streiks in lebenswichtigen Betrieben eingesetzt werden sollten. Diese militärische Spezialeinheit umfaßte rasch mehrere Kompanien.  

Als aber selbst die bis Juli 1919 auf 1100 Mann angewachsene Technische Abteilung nicht mehr ausreichte, um bei mehreren gleichzeitig im Reich stattfindenden Streikaktionen wirksam werden zu können, wurden auf Lummitzschs Anregung hin technische Zeitfreiwilligen-Verbände aufgestellt, die nur im Bedarfsfall einberufen wurden. In Unterscheidung zur militärischen Technischen Abteilung kam für diese Verbände alsbald die Sammelbezeichnung "Technische Nothilfe" in Gebrauch. Vor allem in Städten, die sowohl Garnisonsstandort als auch Sitz von Technischen Hochschulen oder anderer höherer Lehranstalten waren, bildeten sich schon früh TN-Ortsgruppen; so gründete im Juli 1919 der Student Robert Meldau mit seinen Kommilitonen an der TH Hannover die erste TN-Ortsgruppe außerhalb Berlins. Die überwiegende Mehrheit der Arbeiterschaft sah in den Nothelfern gemeine Streikbrecher, die durch ihren Einsatz jede noch so berechtigte Forderung aushöhlten und letztlich ihre Existenz bedrohten. Nach dem Ziehvater der Technischen Nothilfe, dem für seine unerbittliche Härte bei der Streikbekämpfung verrufenen Reichswehrminister Gustav Noske, wurden die TN-Angehörigen als "Noske-Garde" oder "Noske-Hunde" beschimpft. Von diesem schlechten Ruf kam die TN auch nicht los, als sie am 30. September 1919 organisatorisch von den Technischen Abteilungen getrennt und zu einer reichsweiten Organisation umgewandelt wurde. Nun brachten Lummitzschs Leute nicht nur die Industriearbeiter in den Großstädten gegen sich auf, sondern auch noch die Landarbeiter auf den ostelbischen Rittergütern, deren Erntestreiks fortan Nothelfer-Trupps unter dem Schutz von Reichswehr und Sicherheitspolizei unterliefen.

Eine Bedrohung für den Fortbestand der TN zeichnete sich im Sommer 1919 durch die Bestimmungen des Versailler Vertrags ab, die eine stufenweise Verkleinerung der Reichswehr auf schließlich 100.000 Mann forderten. Da die Reichsregierung aber auf keinen Fall auf ihr wirksamstes Mittel gegen Streiks verzichten wollte, wurde die Zuständigkeit für die TN am 28. November 1919 dem Reichsministerium des Innern übertragen. Um der nun "zivilen" TN weiter vorstehen zu können, reichte Otto Lummitzsch zum 1. Januar 1920 seinen Abschied bei der Reichswehr ein. Gleichwohl blieben die Verbindungen zu Militär und Polizei auch weiterhin eng. 

Vollends ins Zwielicht geriet die TN, als sie während des Kapp-Lüttwitz-Putsches Mitte März 1920 die rechtsradikalen Umstürzler dadurch unterstützte, daß Nothelfer den von Regierung und Gewerkschaften ausgerufenen Generalstreik unterliefen. Doch wieder erwies sich die Organisation als wahre Überlebenskünstlerin: Während nach dem Zusammenbruch des Putsches fast alle abtrünnigen Truppenteile umgehend aufgelöst wurden, ging die TN sogar noch gestärkt aus dem Putschabenteuer hervor. Lummitzsch und sein Stellvertreter Erich Hampe verstanden es in der Folgezeit immer wieder, jeder der rasch aufeinanderfolgenden Reichsregierungen den Erhalt und sogar den weiteren Ausbau der TN ans Herz zu legen. In den frühen 20er Jahren gab es für die stetig wachsende Nothelferschaft genug zu tun; als z.B. ein Streik in der Reichsdruckerei Berlin im November 1923 den Druck der Rentenmark und damit die Währungsreform akut gefährdete, rückte die TN in den Betrieb ein und leistete dem bedrängten Reichsfinanzminister Amtshilfe. 1924/25 erreichte die TN ihren höchsten Mitgliederstand mit 441.772 Nothelferinnen und Nothelfern (auch Frauen waren mittlerweile - wenn auch vereinzelt - in der TN zu finden!).

Ab 1924 begann eine ruhigere Phase für die TN, die durch immer seltener werdende Einsätze in bestreikten Betrieben gekennzeichnet war. Dies blieb nicht ohne Einfluß auf die Mitgliederzahl, die sich schließlich Anfang der 30er Jahre bei ca. 100.000 Helferinnen und Helfern einpendelte. Es fehlte dementsprechend auch nicht an Stimmen, die TN nun doch abzuschaffen, da die wenigen politischen Streiks, die noch zu verzeichnen waren, die Aufrechterhaltung einer reichsweiten Organisation mit einem aufgeblähten Apparat von Hauptamtlichen nicht mehr vernünftig erscheinen ließen. Drastische Etatkürzungen zwangen zu Entlassungen von Verwaltungspersonal und zur Auflösung zahlreicher Ortsgruppen.

In dieser für die TN kritischen Situation gelang ihrem stellvertretenden Leiter Erich Hampe das Kunststück, durch Verlagerung auf zwei weitere Betätigungsfelder den Bestand der Organisation dauerhaft zu sichern: den technischen Katastrophenschutz und den zivilen Luftschutz. So etablierte sich die TN neben der Feuerwehr und den Sanitätsorganisationen vielerorts als dritte Kraft in der öffentlichen Katastrophenabwehr. Einsätze bei Überschwemmungen, Waldbränden, Eisenbahnunglücken und anderen Schadenslagen nahmen nun den größten Teil der von Nothelfern geleisteten Arbeiten ein. Mit dem Engagement für den zivilen Luftschutz setzte sich die TN sogar an die Spitze der Entwicklung einer Ende der 20er Jahre völlig neuen Art von Gefahrenabwehr. Zu Beginn der 30er Jahre wirkte die TN schließlich sogar im Freiwilligen Arbeitsdienst (FAD) mit.

Die Technische Nothilfe im "Dritten Reich"

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Copyright Andreas Linhardt